Die Sage wandelt sinnend durchs Land non Ort ;u Ort
und Manch in ihrem Garten der Dichtung Diumen fort.
Sie weilet in Ruinen, sie lauscht am Felsenhang,
in Hainen rauscht ihr Flüstern wie ferner Harfenklang.
Sie schwebt um stoche Durgen, sie weilt beim Halmendach,
sie thront auf Felsenstirnen, sie spielt am Waldesbach.
Sie hat sich mit dem Laude so liebend treu vermählt,
daß sie fast allerorten von alter Leit erzählt.
Ludwig Dechstein.
Nohl, Unsere Mark Brandenburg. I. Teil.
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Dechstein Ludwig
1. Die drei Linden auf dem Heiligen-Geist-Kirchhofe
in Berlin.
Auf dem Kirchhofe des Hospitals zum Heiligen Geiste iu
Berlin haben vor vielen Jahren drei gewaltig große Linden
gestanden, die mit ihren Ästen den ganzen Raum weithin über-
deckten.
Das Wunderbarste an diesen Bäumen war, daß sie mit den
Kronen in die Erde gepflanzt waren und dennoch ein so herr-
liches Wachstum erreicht hatten. Aber dieses Wunder hatte auch
die göttliche Allmacht bewirkt, um einen Unschuldigen vom Tode
zu erretten.
Vor vielen, vielen Jahren lebten nämlich in Berlin drei
Brüder, die mit der herzlichsten Liebe einander zugetan waren
und mit Leib und Leben für einander standen. So lebten sie
glücklich und zufrieden, als dies Glück plötzlich durch einen Vor-
fall gestört wurde, den wohl keiner hätte ahnen können. Denn
so unbescholtenen Wandels auch alle drei bisher gewesen waren,
wurde doch einer derselben des Meuchelmordes angeklagt und
sollte, obgleich er noch kein Geständnis getan hatte, den Tod er-
leiden, da alle Umstände die ihm zur Last gelegte Tat wahrschein-
lich machten. Noch saß er im Gesüngnisse, als eines Tages seine
beiden Brüder vor dem Richter erschienen und jeder derselben
sich des begangenen Mordes schuldig erklärte. Kaum hatte dies
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Extrahierte Ortsnamen: Heiligen-Geist-Kirchhofe Berlin Berlin Berlin
Der König besuchte ihn öfter, sah in gewohnter Weise den: ge-
schickten Arbeiter zu und freute sich über die nahe Vollendung
des bestellten Kunstwerkes. Eines Tages nun, als der König
sich eben auch in der Werkstätte befand, bemerkte er an den
Fenstern des gegenüberliegenden Hauses zwei weibliche Per-
sonen, die dem fleißigen Goldschmied, der dicht an seinem Fenster
arbeitete, sobald er nur aufsah, greuliche Gebärden machten und
widerliche Gesichter dazu schnitten. Der König verwunderte sich
über eine so sonderbare Nachbarschaft und erkundigte sich nach
den „Grimassiers" gegenüber. Er erfuhr, daß es die Frau und
die Tochter eines reichen Goldarbeiters wären, die aus Neid
und Ärger über die Gnade, welche der Monarch ihrem armen
Kunstgenossen zuteil werden ließ, auf eine so wunderliche Weise
ihre Wut zu erkennen gäben.
3. Der Goldschmied erzählte auch, wie er einstmals nicht
habe unterlassen können, unter den Arabesken einer Braten-
schüssel eine der Fratzen dieser bösen Weiber zu verewigen, die
ihn gar oft in seiner Arbeit gestört hätten. Der König beschloß
bei sich, den kleinlichen Brotneid des reichen Goldarbeiters ebenso
zu bestrafen, wie er den Fleiß seines armen Günstlings belohnt
hatte. Nachdem die bestellte Arbeit vollendet war, befahl der
gütige Herrscher seinem Schützling, die alte Wohnung zu räumen,
indem er ihm eine andere, einstweilen gemietete, anweisen ließ.
Auf des Königs Kosten wurde hierauf das alte, baufällige Haus
niedergerissen und dafür das jetzt noch stehende errichtet, an dem
sich zwischen der zweiten und dritten Etage, gerade in der Mitte
der Front, in einer Nische ein weiblicher Kopf befindet, dessen
Gesicht gar scheußlich verzerrt ist. Dieses Zerrbild, das eiu Spiegel
für die neidischen Weiber des reichen Goldarbeiters sein sollte,
wird noch jetzt der N e i d k o p s genannt.
Oskar Schwebet (Die Sagen der Hohenzolleru).
4. Die verstummten Löwen.
Am Turme der Parochialkirche in der Klosterstraße, hoch
oben bei dem Glockenspiel, befinden sich vier Löwen. Die sotten
früher zu jeder vollen Stunde, wenn die „Singuhr" erklang,
ein lautes Brüllen ausgestoßen haben. Wie sie aber stumm ge-
worden sind, darüber berichtet die Sage:
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Die Stadtherren von Berlin wollten nicht, daß der Künstler
des Glockenspiels dieses noch einmal an andrer Stelle anbringe,
und deshalb ließen sie ihm die Augen ausstechen. Er aber erbat
sich als letzten Wunsch, noch einmal zu seinem Glockenspiel auf
dem Kirchturm geführt zu werden. Die Bitte wurde ihm auch
erfüllt, und als er oben war, hat er an einer geheimen Schraube
gedreht, und seitdem haben die Löwen keinen Laut mehr von
sich gegeben, und auch alle späteren Versuche, sie wieder zum
Brüllen zu bewegen, blieben erfolglos.
Paul Kunzendorf (Sagen der Provinz Brandenburg).
5. Die Rippe des Riesen.
Ein Riese lebte in Berlin, der war so groß, daß, als er im
Kampf erschlagen worden war, er nicht Platz fand zur Beerdi-
gung auf einem einzelnen Kirchhof. Man beschloß daher, ihn
zu zerkleinern und die Stücke auf verschiedenen Kirchhöfen der
Stadt der Erde zu übergeben. Das geschah denn auch. Als
man später einen dieser Kirchhöfe zur Bebauung heranzog, fand
man eine Rippe nebst dem Schulterblatt des Riesen, und zum An-
deuten an ihn wurden diese beiden Körperteile an einem Hause
am Molkenmarkt angebracht, das seitdem „die Rippe" genannt
wurde. Eine andere Legende sagt auch wohl, es wären die letzten
Merkzeichen des Roland von Berlin, der einst an dieser Stelle
gestanden haben soll. In Wahrheit aber stammen die Knochen
von einem Walfisch. Ähnliche solche Merkzeichen findet man
noch in anderen Gegenden der Mark, wo man sie mit gleichen
Riesensagen in Verbindung gebracht hat.
Paul Kunzeudorf (Sagen der Provinz Brandenburg).
6. Das Haus mit den 99 Schafsköpfen.
Dieses Haus, das am Alexanderplatz zwischen der König-
und der Landsberger Straße steht und an einem goldenen Hirsch
weithin kenntlich ist, stammt aus der Zeit Friedrichs des Großen.
Der König hat nämlich dieses Haus, wie so manche in Berlin
und Potsdam, bauen lassen. Der Mann, dem er es baute, soll
aber ein etwas unverschämter Gesell gewesen sein und den König
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stets mit neuen Bitten belästigt haben. Bald wollte er dies,
bald das an dem Hanse noch gemacht haben. Schließlich quälte
er den König noch damit, daß er gern allerhand „Verzierungen"
angebracht haben wollte. Der König hieß ihn gehen, indem er
sagte, er werde schon für passende sorgen, und gab nun, erzählt
man, dem Baumeister den Befehls eben jene 99 Schafsköpfe an
der Fassade des Hauses anzubringen. Bestürzt kam der Mann,
als dies geschehen, zum König gelaufen. Der aber fertigte ihn
mit der Bemerkung ab, er habe ja „Verzierungen" gewollt. Daß
sie nicht nach seinem Geschmack wären, dafür könne er nicht, und
wenn die Köpfe ihm nicht genügend wären, solle er sich nur selbst
noch ins Fenster legen, dann wäre das Hundert voll.
Jetzt sind es aber keine 99 mehr.
Wilhelm Schwartz (Sagen der Mark Brandenburg).
7. Der fliegende Chorschüler.
Eines Tages — es war noch zur alten katholischen Zeit —
verabredeten mehrere Chorschüler an der Marienkirche mitein-
ander, daß sie auf den Kirchturm steigen und dort aus den Krähen-
nestern, deren sich eine Anzahl dort oben befand, die Eier aus-
nehmen wollten. Diesen Versuch führten sie auch aus und kletterten
die Treppe hinauf. Als sie oben ankamen, ward zu einem der
Schallöcher ein Brett hinausgelegt, das zwei Schüler hielten;
der dritte aber kroch auf diesem Brett hinaus, um in den Ritzen
und Spalten des Turmes nach Nestern zu suchen. Er fand auch
bald eine große Zahl, gab jedoch feinen Gefährten kein einziges
der Eier, die er dort fand. Als sie ihn nun fragten, ob sie ihr
Teil nicht erhalten würden, schlug er es ihnen rund ab. Er sagte,
er habe sich allein der Gefahr unterzogen, und so wolle er auch
allein die Frucht derselben genießen. Da wurden die andern
böse und drohten ihm, daß sie das Brett loslassen würden, wenn
er ihnen nicht augenblicklich einen Teil seiner Beute abgäbe.
Weil er jedoch vor der Ausführung ihrer Drohung sicher zu sein
wähnte, sagte er, das sollten sie nur tun, dann würden sie gewiß
nichts bekommen. Aber kaum hatte er das gesagt, so ließen jene
das Brett los, und der arme Chorschüler stürzte von der Höhe
des Turmes hinab.
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm_Schwartz Wilhelm
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Nun hatte er aber seinen weiten Chormantel um, der bis
unten hinab zugeknöpft war. Darunter fing sich sogleich der
Wind und hemmte den Fall. Er schwebte wohlbehalten und
unversehrt mitten auf den Markt hinab, wo er zur größten Ver-
wunderung der Käufer und Verkäufer ankam. Ob er dann
seinen Gefährten ihren Anteil am Gewinn gegeben hat, weiß
man nicht; sie mögen aber auch wohl nicht mehr danach ver-
langt haben.
Wilhelm Schwartz (Sagen der Mark Brandenburg).
8. Sagen vom Slandbilde des Großen Kurfürsten.
Wenn man das Standbild des Großen Kurfürsten auf der
Langen Brücke genau betrachtet, so soll es einem vorkommen,
als habe der Kurfürst vor sich ein Kind sitzen. Darüber erzählt
die Sage:
Als der Große Kurfürst regierte, war ein gewaltiger Religions-
krieg, in dem das Morden kein Ende hatte, so daß selbst oft die
Kinder in der Wiege nicht geschont wurden. Nun kam der Große
Kurfürst einmal durch ein brennendes, von seinen Bewohnern
verlassenes Dorf und fand in einem Hause ein Kind in der Wiege;
das Kind lachte ihn freundlich an. Voll Mitleid nahm der Kur-
fürst es auf, setzte es zu sich aufs Pferd und befahl, daß man auf-
hören solle mit Morden. — Einige behaupten aber, das sei nicht
in jenem Kriege, sondern am Tage der Fehrbelliner Schlacht
gewesen. Da habe der Kurfürst irr einem von den Leuten ver-
lassenen Dorfe, durch das er gekommen, das Kind weinend vor
einer Hütte gefunden und mit sich aufs Pferd genommen. Dar-
um habe ihn auch in der Schlacht keine Kugel getroffen; jenes
Kind sei sein Schutzgeist gewesen.
Das Standbild hat aber noch ein anderes Merkmal, das
nicht jeder weiß. Das Pferd des Großen Kurfürsten hat keine
Hufeisen. Die hatte der Meister, der das Standbild gegossen
hat, angeblich vergessen, rrnd als er es nachträglich bemerkte, soll
er sich deshalb von der Brücke in die Spree gestürzt haben.
In der Neujahrsnacht übrigens, hieß es immer, dreht sich
der Große Kurfürst in der Mitternachtsstunde auf seinem Posta-
rnent um.
Wilhelm Schwartz (Sagen der Mark Brandenburg).
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm_Schwartz Wilhelm Wilhelm_Schwartz Wilhelm
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9, Der Große Kurfürst auf der Langen Brücke.
Das Denkmal des Großen Kurfürsten ist nicht nur das älteste,
sondern auch das schönste und wirkungsvollste Standbild Berlins;
darum wissen die Leute so viel davon zu erzählen.
In der Neujahrsnacht zwischen 12 und 1 dreht sich der
Große Kurfürst auf dem Postament um, oder er verläßt seinen
Standpunkt, reitet durch seine Stadt, um zu sehen, was aus
ihr geworden ist und kehrt mit dem Schlage 1 zum Postament
zurück. Seine Züge erstarren wieder zu Erz, und doch ist Leben
darin. Obwohl er die Tracht eines römischen Feldherrn trägt,
ist er ein deutscher Mann durch und durch. Vor ihm sitzt auf
dem Sattel das Kind von Fehrbellin. Als nämlich der Kur-
fürst am Morgen vor der Schlacht in ein von den Schweden
verwüstetes Dorf kam, wo alles, Kirche und Häuser, im Brand-
fchutt lag und niemand eine lebende Seele vermutet hätte, da
tönte aus einem brennenden Hause klägliches Weinen eines
Kindes an das Ohr des hohen Herrn. Er stieg vom Pferde und
trat ein; da sah er den Vater und die Mutter erschlagen am Boden
liegen, in der Wiege aber ein verlassenes Kind, und das lachte
ihn, sobald er näher trat, so freundlich an, daß er's auf seine Arme
nahm und dann vor sich auf den Sattel setzte. Das Kind aber
wurde in der Schlacht sein schützender Engel, von Gott gesandt,
und keine Kugel traf den Helden, der auch in der Stunde des
Kampfes der Barmherzigkeit nicht vergaß. Darum hat man's
denn auch als Wahrzeichen vor dem Panzer des Kurfürsten an-
gebracht.
Dem Rosse des Kurfürsten fehlt am rechten Vorderfuß das
Hufeisen; das ist 1848 bei der Revolution abgeschossen worden,
wie einige sagen; aber es gibt noch alte Leute, die das Denkmal
schon vor 1848 gesehen haben und behaupten, das Hufeisen habe
bereits damals gefehlt, der Künstler habe es beim Gießen ver-
gessen. Als das Denkmal fertig war, soll der Meister voll Stolz
gesagt haben, niemand könne daran etwas aussetzen. Plötzlich
wies einer der Gehilfen auf den Huf, und nun merkte der Meister,
daß ein Eisen fehlte. Da foll er sich in der Verzweiflung von der
Brücke in die Spree gestürzt haben.
Unter dem Sockel ruht, wie die Sage berichtet, ein großer
Schatz; den darf aber nur der König von Preußen heben, wenn
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er einmal in große Not kommt. Die Franzosen haben es 1806
vergeblich versucht, jedoch nur einige Marmorstücke aus den Stufen
herausgeschlagen und sind glücklicherweise nicht tief genug hinein-
gekommen. Jetzt ist's aber noch schwerer, an den Schatz zu ge-
langen; denn der Kaiser hat Stufen aus festem Granit Herrichten
lassen.
Über die vier gefesselten Männer am Fuße des Denkmals haben
die Leute schon viel nachgesonnen und noch mehr erzählt. Manche
sagen, der Baumeister Schlüter habe dabei an die Leidenschaften
gedacht, die der jugendliche Prinz im Haag bekämpfte, andere
dagegen, es seien Gefangene, entweder bezwungene Feinde oder
bedrückte Landeskinder, die ihren Fürsten um Befreiung anflehen;
endlich meint man, die Gestalten seien Vertreter der Völker,
die der Kurfürst vor den Franzosen schützte. Weitere vier ge-
fesselte Gestalten sollen noch unten im Wasser am Fundament
sich befinden.
Otto Monte (Berliner Sagen und Erinnerungen).
10. Die weiße Frau.
Das Volk erzählt, daß, wenn der Tod eines Mitgliedes des
Hohenzollernhauses bevorsteht, nachts im Schlosse zu Berlin die
„weiße Frau" erscheint. Sie ist in ein langes, weißes Gewand
gekleidet und trügt eine weiße Haube mit langem, weißem
Witwenschleier. Langsam und still schreitet sie durch die langen
Gänge und die Gemächer des Schlosses und grüßt die Begeg-
nenden mit leisem Neigen des Kopfes, ohne jedoch ein Wort
zu sprechen. So darf man sie auch nicht anreden oder gar reizen,
da sie sonst zornig wird.
Zuerst soll sie 1598 kurz vor dem Tode des Kurfürsten Johann
Sigismund, dann 1667 vor dem Tode der Kurfürstin Luise Henriette
gesehen worden sein. Als das Ende der Mutter des Großen
Kurfürsten bevorstand, erzählte man auch, daß sie ihre einsamen
Wanderungen mache. Der Oberstallmeister von Burgsdorf aber,
ein kühner, starker Mann, sprach: „Ich möchte sie doch auch ein-
mal sehen und ein Wörtchen mit ihr reden!" Wirklich begegnete
er ihr eines Abends auf der Treppe, als er das Schloß verlassen
wollte, um zum Garten zu gehen, wo sein Roß harrte. Still
und langsam wollte die weiße Frau nach ihrer Gewohnheit an
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Extrahierte Personennamen: Schlüter Otto Johann Luise_Henriette Burgsdorf
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ihm vorübergehen. Er aber hielt sie an und sprach zu ihr: „Was
willst du hier? Hast du nicht schon genug Fürstenblut genossen?"
Niemals hat Burgsdorf sagen können, was ihm eigentlich passierte.
Von einem Stoße getroffen, stürzte er die Treppe hinab, daß
ihm alle Rippen krachten. Zum Glück kam er mit dem Leben
davon.
Über die Entstehung der Sage gibt es mehrere Lesarten.
Nach einigen soll die weiße Frau der Geist der „schönen Gießerin"
Anna Sydow sein, der holdseligen Witwe eines Stlickgießers
Dietrich, die Kurfürst Joachim Ii. liebte. Auf seinem Sterbe-
bette soll er seinem Sohne Johann Georg das Versprechen ab-
genommen haben, daß er Anna Sydow auf keine Weise kränken
oder verunehren wolle. Aber der strenge Nachfolger schickte die
„schöne Gießerin" nach Spandau, wo sie bis an ihr Lebensende
in Gefangenschaft verblieb. Ihr Geist, der keine Ruhe fand,
schwebt rächend durch die Hallen des Schlosses und erscheint
den Hohenzollern, Unheil und Tod verkündend.
Nach einer andern Sage ist die weiße Frau eine Gräfin
von Orlomünde, Agnes, gewesen, die als Witwe gern Albrecht
den Schönen, den Burggrafen von Nürnberg, heiraten wollte.
Er soll aber gesagt haben: „Gern wollt' ich dem schönen Weibe
meine Hand reichen, wenn nicht vier Angen wären." Die Gräfin
glaubte, ihre zwei Kinder seien ihr im Wege und ließ die beiden,
einen herzigen Knaben und ein liebliches Mädchen, töten. Aber
der Burggraf, der mit den vier Augen seine noch lebenden Eltern
gemeint hatte, zog sich von ihr zurück und verließ Nürnberg.
Bittere Reue quälte Agnes bis an ihr Ende. Aber auch nach
ihrem Tode sollte sie keine Ruhe finden, sondern sie muß als
weiße Frau umgehen.
Walther No hl.
11. Die schwarzen Brüder.
An einem Hause in der Brüderstraße nahe beim Schloß-
plätze soll früher ein Bild zu sehen gewesen sein; darauf bemerkte
man vier Männer, die auf einem Pferde ritten. Das waren
vier Brüder; die wohnten zusammen, aßen aus einer Schüssel,
tranken aus einem Becher und waren einander in herzlicher
Liebe zugetan. Darüber ärgerte sich der Teufel, und er beschloß,
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Extrahierte Personennamen: Anna_Sydow Stlickgießers
Dietrich Joachim_Ii Johann_Georg Johann Anna_Sydow Agnes Albrecht Agnes
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die Eintracht zu stören. Er nahm die Gestalt eines schönen Mäd-
chens an und wandelte vor dem Tore, wo die vier Brüder abends
spazieren gingen, auf und ab. Allen gefiel das Mädchen, und
einer stahl sich nach dem andern fort, um mit der Unbekannten
allein zu sprechen. Da trafen sie denn plötzlich alle vier zusammen
und merkten nun erst, daß der Teufel sie genarrt hatte. Der
hatte sich jedoch arg verrechnet. Die Brüder sahen nämlich ihr
Unrecht ein und gelobten, nie wieder voneinander zu lassen.
Sie lebten einträchtig miteinander wie zuvor, gingen nie einzeln
aus dem Hause, und wenn sie ausritten, saßen sie alle auf einem
Roß. So stellte man sie auf dem Bilde dar. Allen Freuden
der Welt entsagten sie, um sich nicht wieder zu entzweien; daher
trugen sie einen schwarzen Mantel, weshalb man sie die schwarzen
Brüder genannt hat. Ihre Reichtümer benutzten sie dazu, zwischen
der Brüderstraße und der Breiten Straße ein Kloster zu bauen,
dessen Gebäude noch 200 Jahre gestanden haben, nachdem Kur-
fürst Joachim Ii. das Kloster um 1640 aufgehoben hatte. Die
Brüderstraße, eine der ältesten in Alt-Kölln, verdankt den Kloster-
brüdern ihren Namen.
Otto Monte (Berliner Sagen und Erinnerungen).
12. Der Kaak.
Das alte berlinische Rathaus in der Spandauer Straße hatte
einen Vorbau, die Gerichtslaube, welche abgebrochen wurde, als
man in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein neues
Rathaus baute. Kaiser Wilhelm I. rettete das altertümliche Ge-
bäude, indem er es in derselben Gestalt in seinem Parke Babels-
berg 1872 wieder aufbauen ließ. An einer Säule der Gerichts-
laube bemerkt man noch heute das steinerne Bildnis eines großen
Vogels mit Menschengesicht und Eselsohren. Das ist der Kaak
oder Kolk, der in Berlin auch wohl der „verwünschte Musikus"
genannt wurde. Die Säule, an der er sich befand, war der Pranger,
und ältere Berliner erinnern sich wohl noch der Halseisen und
Ketten, die unter dem Spottbilde angebracht waren. Damit
wurden solche Verbrecher festgeschlossen, die zu Schimpf und
Schande öffentlich ausgestellt wurden, und mancher, den diese
Strafe traf, mag den Pranger verwünscht haben und den Vogel
dazu.
TM Hauptwörter (50): [T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
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Extrahierte Personennamen: Joachim_Ii Otto Wilhelm_I.